2025, October 4

Musikfest Berlin 2025: Berliner Philharmoniker mit François-Xavier Roth

Dieser Konzertsaal verpflichtet. Als Hans Scharoun 1963 die Berliner Philharmonie entwarf, war seine Entscheidung gegen die konventionelle Schuhkartonform ein Geniestreich. Die Idee, die Musiker ins Zentrum zu setzen und das Publikum rundum wie in einem Amphitheater zu platzieren, war revolutionär. Der nach dem Weinberg-Prinzip gestaltete Große Saal, Heimstätte der Berliner Philharmoniker, wurde zur architektonischen Ikone mit unverwechselbarer Akustik.

Es ist ein Raum, der Maßstäbe setzt – und Maßstäbe verlangt. Die Erwartungen an das Musterensemble aus der deutschen Hauptstadt sind stets hoch, gilt doch seine historische, ganz eigene Spielkultur weltweit als Referenz. Diese Sonderstellung leitet sich nicht zuletzt vom Selbstverständnis der Berliner Musiker ab, das Prinzipien wie künstlerische Selbstbestimmung, akustische Avantgarde und konsequente Nachwuchsförderung durch die Karajan-Akademie vereint.

Beim letzten Musikfest Berlin, das nach mehr als drei Wochen intensiver Spielzeit nun glanzvoll zu Ende ging, stellten sich die Berliner Philharmoniker diesem Anspruch erneut mit einem klug ausgewählten und anspruchsvollen Programm. Es lag eine gewisse Spannung darin, das Orchester einmal unter einem anderen Spitzendirigenten zu erleben, eben im Kontrast zu dem stets brillant, oft fast minimalistisch im Hintergrund agierenden Chefdirigenten der Philarmoniker Kirill Petrenko. Selbstverständlich war Petrenko mit einem eigenen Konzert beim Festival vertreten. Doch gerade der Wechsel am Pult machte so deutlich, wie sehr das Konzerterlebnis letztlich vom Dirigenten bestimmt wird: von seiner persönlichen Sicht auf das Werk, seinem Fühlen, seiner Interpretation und seiner Art, die Musiker als Klangkörper zu formen und zu leiten.

François-Xavier Roth aus Frankreich, der als musikalischer Visionär gilt, dirigierte die Berliner Musiker souverän und sensibel, mit interpretatorischer Tiefe und klanglicher Souveränität. Zum Auftakt erklang Pierre Boulez’ Rituel – in memoriam Bruno Maderna (1974/75), eine Totenmesse für seinen früh verstorbenen Musikfreund. Die starke Perkussion und die Anordnung der Musiker in acht über verschiedene Ränge im Saal verteilte Gruppen erzeugten eine orchestrale Raumwirkung von einmaliger Plastizität. Streng rhythmisiert, aber dennoch atmend, entfaltete sich Boulez’ Partitur als kraftvoll-analytische, aber emotionale Klangarchitektur.

Boulez’ Schüler Ondřej Adámek setzte sich in der Uraufführung seines Between Five Columns mit dem Erbe seines Lehrers auseinander. Das von den Philharmonikern in Auftrag gegebene Werk orientierte sich zwar an architektonischen Prinzipien Boulez’, entwickelte jedoch eine eigene Sprache – dicht und strukturell vielschichtig. Beim Publikum kam es gut an, das den anwesenden Komponisten mit lang anhaltendem Beifall bedachte.

Auf Igor Strawinskys Le Sacre du Printemps – jenes Schlüsselwerk der Moderne, das bei der Pariser Uraufführung 1913 zu einem der größten Skandale der Musikgeschichte ausuferte – richteten sich die Erwartungen in besonderem Maß. Unter Roth geriet es zum expressiven Höhepunkt des Abends: raumgreifend, rhythmisch packend und zugleich präzise konturiert. Die Berliner Philharmoniker bewiesen einmal mehr ihr Können darin, klangliche Extreme expressiv und kontrolliert zugleich zu gestalten. mit Ausdruckskraft und Kontrolle zu vereinen. Das Finale entfaltete eine eruptive Wucht, in der sich die innere Geschlossenheit des Ensembles und seine einzigartige Klangkultur besonders deutlich zeigten.

Foto: Berliner Philharmoniker bespielen, in Gruppen verteilt, den Großen Saal der Philarmonie mit Boulez’ Rituel. © Stephan Rabold